Basel: Das Bier aus dem Quartier

Basler Zeitung– 19. Mai 2011

In Basel wird an allen Ecken und Enden gebraut, doch Geld verdient kaum einer damit.

In den Achtzigerjahren drohte das Bierkartell die Brauwirtschaft in ihren Strukturen zu ersticken. Heute ist der Markt stark konzentriert, doch im Kleinen blüht die Vielfalt.

Bis zu 2000 Besucher werden heute Abend auf der Kunsti Margarethen erwartet, denn es ist Generalversammlung der Brauerei Unser Bier. Es ist eine der grössten Versammlungen hiesiger Aktiengesellschaften, selbst die Bâloise kann meist nicht mehr als tausend Aktionäre an ihrer GV begrüssen. Doch dort gibt es auch keinen Wurstgrill und deutlich weniger Bier. Anders bei Unser Bier: 2600 Liter habe man vor einem Jahr als «flüssige Dividende» an die Aktionäre ausgeschüttet, sagt Geschäftsführer Luzius Bossard. Bei 1600 Besuchern macht das 1,6 Liter Bier pro Kopf.

Mit ihrer Geschäftsform hat die Brauerei Erfolg. Jeder Aktionär bedeute auch einen treuen Kunden, ist sich Bossard sicher. Gleichzeitig lebt die Brauerei von den Einnahmen des Aktienverkaufs. Ohne die Kapitalerhöhungen hätte sie nicht nur kein Geld für die Investitionen gehabt, sie finanziert teilweise auch den laufenden Betrieb daraus. Vergangenes Jahr machte die Brauerei einen Verlust von 416 000 Franken, 763 000 Franken Verlustvortrag haben sich aufgehäuft. Doch daneben stehen Reserven aus den Kapitalerhöhungen von 1,7 Millionen Franken.

Wer nur die Generalversammlung kennt, vergisst gerne, dass Unser Bier ein kleines KMU ist. Es beschäftigt gerade mal sechs Personen, davon vier in der Produktion. Mit einem Ausstoss von 4360 Hektolitern (43 600 Liter) im vergangenen Jahr ist die Brauerei neben den beiden Schweizer Marktführern Carlsberg und Heineken ein Zwerg. Alleine in Rheinfelden braut die Carlsberg-Brauerei Feldschlösschen jedes Jahr zwei Millionen Hektoliter – oder rund 450-mal so viel. Zusammen bedienen die zwei nordeuropäischen Bierkonzerne zwei Drittel des Schweizer Marktes.

Die Konzentration ist das Endergebnis eines langen Prozesses, das Matthias Wiesmann in seinem Buch «Bierund wir» schön beschrieben hat. Bis in die Neunzigerjahre dominierte in der Schweiz die Kartellwirtschaft, in der alles abgesprochen war – bis hin zu den Rezepten der Biere, der Form der Flaschen und den Restaurants, die von den Brauereien beliefert wurden. Die Brauer konzentrierten sich darauf, ihr Standardbier möglichst günstig herzustellen. Was dabei verloren ging, war die Pflege der Marken. Oft schlossen sie sich gar zusammen und produzierten für ein gemeinsames Bier. Cardinal war so ein Fall. Am Ende blieben ein paar Dutzend Brauereien.

Kartellbrecher. Einer der ersten Kartellbrecher war der Basler Arzt Hans Jakob Nidecker. Weil er in der ihm gehörenden «Fischerstube» nicht das Bier ausschenken wollte, das ihm das Kartell zugeteilt hatte, stellte er einen eigenen Brauer an. Es war 1974, das Ueli Bier war geboren. Heute ist die Brauerei Fischerstube die Nummer zwei im Kanton Basel-Stadt. 4500 Hektoliter habe man 2010 verkauft, sagt Geschäftsführerin Anita Treml Nidecker. Um gut fünf Prozent sei der Absatz im 2010 gewachsen.

Allerdings produziert die Brauerei längst an den Grenzen ihrer Kapazitäten. Vor Kurzem hat sie an der Utengasse eine Liegenschaft dazugemietet, in der nun Bier abgefüllt und gelagert werden kann. Eine 127 Meter lange Pipeline führt das Bier von der Rheingasse dort hin. Die Produktionskapazitäten aber sind ausgeschöpft. Im Keller habe man noch ein wenig Platzreserve, sagt Treml. Viel ist das aber nicht.

Den nächsten Ausbau plant Treml nicht in der Produktion, sondern in der Konsumation: Auf dem Gelände zwischen der Brauerei und dem Arbeitsamt an der Utengasse will sie einen kleinen Biergarten einrichten. Die Planung sei weit vorangeschritten, noch diesen Sommer sollen die ersten Gäste bedient werden, sagt Treml.

Sieben Brauereien. Nicht nur an der Rheingasse und auf dem Gundeldinger Feld, bei Unser Bier, wird in Basel gebraut. Im Kanton sind sieben Brauereien offiziell bei der eidgenössischen Steuerverwaltung registriert. Der Bund verpflichtet jeden, der mehr als 200 Liter pro Jahr verkauft, Biersteuer zu bezahlen. 25 Rappen verlangt der Staat pro Liter Lagerbier.

325 Brauereien stehen derzeit auf der Liste der steuerpflichtigen Betriebe, die meisten von ihnen dürften kleine Einmannbetriebe sein. So wie jener von Dani Nüesch, der seine Wohnung an der Colmarerstrasse in eine Braustätte umgebaut hat. In guten Zeiten braute er etwa 40 Hektoliter pro Jahr, die er auch an Restaurants lieferte. Derzeit baut er mal wieder um, daher stockt die Produktion. Nach dem Umbau will er 120 bis 150 Hektoliter pro Jahr brauen.

In einer ähnlichen Grösse bewegen sich auch die beiden Schultheiss-Brüder, die seit einem Jahr in Riehen ihre Brauerei Zur grünen Amsel führen. 2010 haben sie etwa 50 Hektoliter Bier gebraut, in diesem Jahr sind es bereits 25. Die Brauerei haben sie in einem alten Bauernhof an der Schmiedengasse eingerichtet. Dereinst – so der Wunsch der beiden – soll das Bier vor Ort in einer Beiz ausgeschenkt werden. Schwierig ist nur, die Auflagen für das Restaurant zu erfüllen. Brauen hingegen kann jeder, die Auflagen sind tief.

Auch Ronald Koenig braut Bier – im Hinterhof seiner Wohnung, in einer grossen Pfanne. «Wenn da mal eine Blüte oder ein Blatt reinfällt, passiert nicht viel», sagt er. Aufpassen müsse man erst am Ende, beim Gärprozess. Wie viele Hobbybrauer weiss Koenig genau, was er tut. Und wie viele kennt er sich mit den Gerätschaften aus. Koenig arbeitet als Laborant bei einem Pharmabetrieb. «Wenn man in einem Labor arbeitet, ist Bier brauen keine grosse Sache», sagt er. Ziel seiner Brauerei Luusbueb sind 25 Hektoliter pro Jahr, im Moment macht er 30 bis 60 Liter pro Woche. Für den «Lällekönig» braut er ein rötliches Bier mit Namen «Ooberoot». Koenig ist ein Tüftler, normale Biere sind nicht sein Ding. «Ein Feldschlösschen kauft man am besten bei Feldschlösschen», findet er.

Brauer wie Koenig sind professionelle Amateure. Sie spielen in der Profiliga mit, beliefern Restaurants oder kleine Läden, brauen das Bier aber am Feierabend oder am Wochenende. Irgendwann kommen sie an einen Punkt, wo sie sich entscheiden müssen. Bau ich weiter aus? Mach ich das Hobby zum Beruf? Oder beschränke ich mich? Martin Schultheiss hat viel Zeit in sein Amsel-Bräu investiert, doch jetzt sagt er, er müsse mal wieder etwas Geld verdienen. Zwar kann er mit dem Verkauf des Biers die Materialkosten decken. Würde er die Arbeitszeit aber einberechnen, wäre das Brauen ein Verlustgeschäft.

Ein Hobby für Profis. Und so beschränken sich viele auf die Freizeit. Der Verein Unser Bier, quasi die Schwester der Aktienbrauerei, stützt sich ganz auf seine Mitglieder ab. Neue Hobbybrauer seien jederzeit willkommen, sagt Präsident Daniel Oertli. Jeweils am Dienstag treffen sich die aktiven Mitglieder im Vereinslokal an der Hochstrasse. Zum Brauen. Und zum Trinken. Ähnlich ist die Bierwerkstatt aufgestellt, die jüngste Basler Brauerei. «Wir wollen den Leuten das Brauen näherbringen», sagt Bénédict Bart. Auch die Bierwerkstätter sind Halbprofis: Zwei von ihnen sind Chemiker, einer ist Apparatebauer.

Selbst die beiden grösseren Basler Brauereien arbeiten am Rande der Wirtschaftlichkeit. Unser Bier hat gerade viel Geld in eine neue Brauerei und Abfüllanlage investiert und wird daher noch lange keinen Gewinn ausschütten können. Die Fischerstube arbeitet inzwischen kostendeckend. Doch während vieler Jahre sei der Betrieb von Nidecker mit Einnahmen aus seiner Arztpraxis subventioniert worden, sagt Treml.

Das Wachstum haben die beiden Brauereien mithilfe anderer bewerkstelligen können. Während vieler Jahre liess Unser Bier zusätzlich Bier von der Brauerei Falken in Schaffhausen brauen. Im Jahr 2009 kam jeder zweite Liter Bier aus der Ostschweiz. 2010 waren es noch 600 Hektoliter, seit diesem Jahr wird wieder alles Bier im Gundeli gebraut.

Auch die Fischerstube setzt auf eine Kooperation. Das Flaschenbier wird in Lörrach in der Brauerei Lasser hergestellt. Nach Basler Rezept, aber mit Badischem Wasser. Gemäss Andeutungen von Treml dürfte etwa die Hälfte des Biers aus Lörrach stammen. Genaue Zahlen nennt sie jedoch nicht.

Bier aus Lörrach. Lasser kennt in der Schweiz kaum ein Konsument, im Badischen jedoch ist der Familienbetrieb der dominierende Anbieter. Mit 50 000 Hektolitern im vergangenen Jahr produziert Lasser doppelt so viel Bier wie die frühere Liestaler Brauerei Ziegelhof («Ziegelhof» ist heute eine Marke von Heineken). 400 Restaurants werden beliefert, sagt Geschäftsführer Andreas Walter. Etwa neun Millionen Euro Umsatz macht Lasser pro Jahr, das jedoch auch mit Süssgetränken und im Automatengeschäft.

Dass man Lasser in Basel kaum kennt, obwohl der Betrieb gleich hinter der Grenze liegt, hat mit ebendieser zu tun. Nur wenige Regionalbiere werden ins Ausland exportiert. Die Zollformalitäten seien noch immer umständlich, sagt Walter. Das Deklarieren der Ausfuhr, das Nachzahlen der Biersteuer. Da im Badischen in den vergangenen Jahren einige Brauereien eingegangen seien, habe er im eigenen Land genug zu tun, sagt er. Die Schweiz? Vielleicht später.

Für die Basler lohnt sich der Export nicht, weil das Preisniveau in Deutschland tiefer ist. Lasser verkauft sein Fassbier zum Listenpreis von gut zwei Euro pro Liter. Für Unser Bier bezahlt der Beizer deutlich mehr als drei Franken, Ueli Bier dürfte ähnlich teuer sein.

Innerhalb des Landes funktioniert die Zusammenarbeit jedoch gut, wie das Beispiel mit Unser Bier und Falken zeigt. Und so entstehen schon auch mal regionale Biere, die man im Brauereiverzeichnis der Steuerverwaltung nicht findet. «Em Basler sy Bier» ist so eines. Dani Graber lässt es mit teilweise Basler Zutaten komplett bei Locher in Appenzell brauen. Wie viel Bier er 2010 verkauft hat, wissen wir nicht. Auf eine Anfrage der BaZ hat Graber nicht reagiert.

«Bier und Wir», Matthias Wiesmann, Verlag Hier + Jetzt, 180 Seiten. Richtpreis 48 Fr.

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