Coronavirus: Hopfen und Malz verloren

Ohne Gastronomie kein Bierabsatz: Die Brauereien leiden – und setzen auf neue Produkte wie Starkbier für die Herstellung von Desinfektionsmitteln.

Handelszeitung, 6.4.2020

Jahrelang ging es nur aufwärts. Doch jetzt könnte das Coronavirus dem Boom der Schweizer Bierbranche ein Ende setzen. Seit Wochen sind Bars und Restaurants geschlossen, und das spüren die Brauereien, die nun auf ihrem Bier sitzen bleiben. Gut die Hälfte des Biers vertrieben die Schweizer Brauereien über die Gastronomie. Das fällt nun weg.

«Das trifft uns zur allerdümmsten Zeit», sagt Marcel Kreber, Direktor des Schweizer Brauerei-Verbands SBV. «Um diese Jahreszeit machen die Brauereien normalerweise den meisten Umsatz.»

Am stärksten betroffen sind traditionelle Regionalbrauereien, die stark von Restaurants und Events abhängig sind. Ganz schlimm ist es in Einsiedeln. Die Brauerei Rosengarten von CVP-Nationalrat Alois Gmür beliefere zu 90 Prozent die Gastronomie, sagt dieser. «Das ist komplett eingebrochen.» Zwar versuche man, mit Heimlieferungen und über den Detailhandel einen Teil des Verlustes wett zu machen. «Doch damit holen wir nur ein paar Prozente zurück.»

Den Betrieb habe er zu 50 Prozent auf Kurzarbeit gesetzt, sagt Gmür. Ein Überbrückungsdarlehen musste er bisher nicht aufnehmen. «Als Familienbetrieb konnten wir in den letzten Jahren zum Glück genug Reserven aufbauen.»

Regionalbrauereien verlieren teilweise zwei Drittel des Umsatzes

Ähnlich das Bild bei anderen Regionalbrauereien. Die Badener Brauerei Müller ist zu 68 Prozent von der Gastronomie abhängig und hat die Produktion komplett heruntergefahren. Bei Schützengarten in  St. Gallen liegt der Gastroanteil bei «über 50 Prozent», wie Geschäftsführer Reto Preisig erklärt. Hinzu kommt der Umsatz, der normalerweise mit Events erzielt wird, die um diese Jahreszeit vermehrt stattfinden. «Wir brauen aktuell nurmehr an den Wochentagen jeder zweiten Woche Bier», sagt Preisig.  «Etwas, das wir wohl seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr getan haben.»

Nicht alle leiden gleich stark. Etwas besser geht es Produzenten, die mehr auf den Vertrieb im Detailhandel fokussiert sind wie die Winterthurer Doppelleu mit den Marken «Doppelleu» und «Chopfab» oder die Brauerei von Ramseier, die als drittgrösste Schweizer Brauerei vor allem Handelsmarken wie «Farmer» produziert. 

«Viele Brauereien, die vor allem von Restaurants leben, werden verschwinden. Die überleben das nicht.»

STEFAN MÜLLER, GETRÄNKEHÄNDLER DRINKS OF THE WORLD

Für den Einsiedler Brauer Gmür ist klar: «Der Lockdown wird Spuren hinterlassen.» Viele Gastrobetriebe hätten nur noch wenig Reserven. «Und auch unter den Brauereien wird es zu einer Strukturbereinigung kommen.» Dem pflichtet auch Stefan Mueller bei, der mit seiner Getränkekette «Drinks of the World» vor allem Bier vertreibt. «Viele Brauereien, die vor allem von Restaurants leben, werden verschwinden», sagt er. «Die überleben das nicht.»

Ein, zwei Monate seien verkraftbar, sagt Felix Meier von Müller Bräu. «Wenn sich die Lage ab Ende Mai normalisiert, kommen wir mit unserer Liquiditätsplanung durch», sagt er. «Wenn ich aber höre, dass das bis in den August so weitergehen könnte, bekomme ich Hühnerhaut.»

Doch trinken die Schweizer das Bier nun nicht einfach zu Hause? Die meisten Brauereien stellen im Handel und Direktvertrieb Mehrumsätze fest. Die Gewinne in diesen Absatzkanälen könnten aber die Verluste des Hauptabsatzkanals Gastronomie und Veranstaltungen aber bei weitem nicht kompensieren, sagt Schützengarten-Brauer Preisig. «Sie sind eher marginal.»

Neue Online-Shops: mehr Absatz im Direktvertrieb

Auch die Grossbrauereien, die hierzulande mengenmässig das meiste Bier verkaufen, können den Einbruch in der Gastronomie wohl nicht über Mehrabsatz im Detailhandel kompensieren. Die Gastronomie sei der «wichtigste Absatzkanal», sagt Gaby Gerber von der Carlsberg-Tochter Feldschlösschen. «das bedeutet natürlich auch für uns ein enormer Einschnitt.» Noch sei es zu früh, um abschätzen zu können, wie viel man davon im Detailhandel auffangen können. 

«Wir brauen aktuell nurmehr an den Wochentagen jeder zweiten Woche Bier. Etwas, das wir wohl seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr getan haben.»

RETO PREISIG, GESCHÄFTSFÜHRER BRAUEREI SCHÜTZENGARTEN

Verbandsdirektor Kreber vermutet, dass das Minus in der Gastronomie das Plus im Detailhandel und Direktvertrieb letztlich deutlich übersteigen wird. «Bier ist ein soziales Getränk», sagt er. «Und das soziale ist derzeit auf Eis gelegt. Natürlich kann man auch mal per Facetime zusammen ein Bier trinken. Doch das ist nicht das gleiche.»

Neue Produkte: Desinfektionsmittel statt Bier

Und so stellen einige Brauereien nun ganz auf ein anderes Produkt um: Alkohol für die Herstellung von Desinfektionsmitteln. «Wir brauen einmal pro Woche ein Starkbier mit zirka 15 Prozent Alkohol, das dann von regionalen Brennern zu Industriealkohol destilliert wird», sagt Gmür. Damit verdiene man zwar nicht viel Geld, aber es laste zumindest den Betrieb etwas aus.

Auch Feldschlösschen ist wieder unter die Schnapsproduzenten gegangen. Während Jahren nutze die Grossbrauerei den Alkohol, der bei der Herstellung von Alkoholfreiem Bier als Abfall entsteht, als Brennstoff für die eigene Wärmeproduktion. Nun liefere man diesen an Hersteller von Desinfektionsmitteln, so Sprecherin Gerber.

Brauereien im Frühling 2020: Kommt jetzt der Strukturwandel?

In den letzten Jahren erlebte die Schweiz eine eigentliche Gründerwelle. Die Zahl der Brauereien steigt auf zuletzt 1141 an (siehe Grafiken unten). Bei den meisten dieser Gründungen handelt es sich um kleine und kleinste Hobby- oder Gasthausbrauereien. Bei den kleinsten 811 Brauereien liegt die Jahresproduktion unter 2000 Litern.

Doch auch die Zahl der Profibetriebe hat zugenommen. Zuletzt wurde im November die 2007 gegründete Liechtensteiner Brauhaus in den Verband SBV aufgenommen, der die 23 grössten Schweizer Brauereien vereint. 58 Brauereien produzieren hierzulande mehr als 100’000 Liter Bier pro Jahr. Von ihnen stammt laut SBV 99 Prozent der Schweizer Inlandproduktion. 

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