Jetzt gibts Saures

Handelszeitung– 10. September 2020, Kolumne «Apero»

MICHAEL HEIM

Wann haben Sie das letzte Mal saures Bier getrunken? Vermutlich noch nie. Für viele gilt: Ist das Bier sauer, ist etwas schiefgelaufen. Und bei normalen Bierstilen ist das auch so. Ein Lager oder Spezial mit Säure wurde meist Opfer eines Bakteriums, das da nicht reingehörte. Punkt. Das macht es zwar nicht grundsätzlich ungeniessbar, aber fehlerhaft.

Doch diese Ansicht ändert sich langsam. Denn von Westen her zieht ein Trend durch die Schweiz, der in anderen Regionen schon lange etabliert ist: Biere, die ganz bewusst eine gewisse Säure aufweisen. Die berühmtesten Vorbilder heissen Lambic und kommen aus Belgien. Sie werden mit wilden, nicht industriell gezüchteten Hefen vergoren und meist im Holzfass gelagert, was das Bier ins Säuerliche kippen lässt. Aufgefangen wird die Säure gelegentlich über Früchte, die mit ins Bier wandern – zum Beispiel Kirschen bei einem Kriek.

Auch in Deutschland kennt mans sauer. Etwa die wiederentdeckte, leicht salzige Gose aus Leipzig. Und in der deutschen Hauptstadt bestellt man sich eine Berliner Weisse, die gern «mit Schuss» versüsst wird. Zum Beispiel mit dem unvermeidlichen Waldmeister-Sirup. Dem Liebhaber ist das zu viel. Denn es gibt Sauerbiere, die fürs Mischen viel zu schade sind. Und damit wären wir in der Romandie. Brauereien wie Trois Dames oder die Brasserie des Franches-Montagnes (BFM) haben sich einen Namen mit unkonventionellen Bieren gemacht. Eines der berühmtesten ist das holzfassgereifte Abbaye de Saint Bon-Chien von BFM, das es bereits 2009 an die Spitze einer Bestenliste der «New York Times» schaffte. Die Abtei ist erfunden – und der Hund war in Wahrheit eine Katze, aber das Bier ist ein nachhaltiger Erfolg.

In der Deutschschweiz wagten sich bisher vor allem Klein- und Heimbrauer ans Saure, wobei wohl schon auch mal ein Unfall zum Sauerbier rückdeklariert wird. Die Grösseren dagegen scheuen sich vor der kommerziell anspruchsvollen Nische. Man munkelt, die auf Starkbiere spezialisierte Brauerei Pilgrim im Kloster Fischingen spiele mit dem Gedanken, den Schritt zu wagen. Vielleicht klappts ja mit dem göttlichen Segen.

Das «Saure» dürfte noch länger der umstrittenste Bierstil bleiben, denn es ist immer eine Gratwanderung zwischen Fehler und Faszination. Letztlich ist es eine Kopfsache: Wir wachsen auf mit sauren Getränken, vom Pepita über den Weisswein bis hin zum Caipirinha. Warum also darf nicht auch ein Bier mal mit einer knackigen Säure daherkommen?

Typisch

Die einen hassen es, die anderen vergöttern das Bier, das nicht wirklich aus einer Abtei kommt, sondern aus einer der punkigsten Brauereien der Schweiz. Der deutlichen Säure stehen ordentlich Alkohol und ein Eichenbouquet aus der Fasslagerung gegenüber. Den heiligen Hund trinkt man denn auch weniger zum Essen, sondern danach. Und am besten aus einem grossbauchigen Glas, das den Aromen freien Lauf lässt.

L’Abbaye de Saint Bon-Chien Brasserie des Franches-Montagnes (BFM), Saignelégier. Fassgelagertes Sauerbier, 11 Vol. % Alk. 0,75 dl für circa 22 Franken.

In dieser Kolumne schreiben der «Handelszeitung»-Redaktor Michael Heim und Autor Ben Müller alternierend einmal im Monat über Bier und Wein. Heim selbst ist an einer Vereinsbrauerei beteiligt.

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