Nüchtern ins neue Jahr

Kolumne Apero aus der Handelszeitung vom 14.1.2021

Michael Heim

Im neuen Jahr wird alles ­anders! Weniger Zucker, mehr Sport, Veganuary? Am 1. Januar dürfte der eine oder die andere auch wieder an einen Alkoholverzicht gedacht haben – oder zumindest an eine Reduktion auf 0,5 Prozent. Und damit zum heutigen Thema: Alkoholfreies Bier wurde in den letzten Jahren deutlich besser und interessanter. Denn nach Jahrzehnten, in denen die Brauereien vor allem an ihren Lager­bieren herumgefeilt haben, nimmt die stilistische Vielfalt immer mehr zu: Von dunklem Porter übers Weizenbier bis zu fruchtig-herben India Pale Ales. Entsprechend stark steigen die Umsätze.

Da wäre zum Beispiel das Punk AF von Brewdog. Die Schotten sind bekannt für herbe, stark gehopfte Biere – und was liegt näher, als den Mangel an alkoho­lischem Körper mit einen wuchtigen Hopfenbouquet zu kompensieren? Auch die Berner Lola-Macher setzen mit ­ihrem IPA auf diese Karte. Weniger wild, aber nicht minder lecker ist das alkoholfreie Atlantik-Ale von Störtebeker. Mit dem bemühten Ex-Bier aus den Achtzigern hat all das nichts mehr zu tun.

Hinter einem alkoholfreien Bier steckt viel Know-how. Entweder entzieht man dem fertigen Bier den Alkohol oder man lässt ihn gar nicht erst entstehen. An die erste Methode hält sich zum Beispiel Feldschlösschen: Aus einem relativ ­normalen Lagerbier destillieren die Rheinfelder den Alkohol heraus – fast wie in einer Whisky-Brennerei, nur dass hier nicht der Schnaps getrunken wird. Andere verhindern von Anfang an die Gärung, die den Zucker in Alkohol umwandelt. Die Brauer setzen dann ent­weder einen sehr dünnen Sud mit wenig vergärbarem Zucker an oder sie stoppen die Gärung vorzeitig. Auch speziell gezüchtete Hefen kommen zum Einsatz. Geschmacklich kommen diese Biere meist etwas weniger nah an das Original, da sie entweder zu dünn schmecken oder an unvergorene Würze erinnern.

Welches aber ist das beste Alkoholfreie? Das versuchten wir selber an einer – ­leider etwas gar umfangreich geratenen – Degustation herauszufinden. Das Ergebnis war streckenweise anstrengend, aber auch erhellend. So schmeckte das Weizenbier aus Andechs deutlich besser als die Alkoholfreien grosser Weissbierbrauereien wie Erdinger. In der Schweiz punkteten die Lagerbiere von Feldschlösschen und Eichhof, andere hingegen fielen brutal ab. Das bierigste Alkoholfreie lieferte die Norddeutsche Brauerei Jever mit ­ihrem Bier namens Fun: trocken, sauber, leicht herb. Näher an ein klassisches Pilsner kommt derzeit keiner.

Typisch

Wie viele moderne Alkoholfreie versucht das Punk AF gar nicht erst, wie ein normales Bier zu schmecken. Böse Zungen nennen es einen brachialen Hopfen-Tee, Fans dagegen lieben die intensiven, fruchtigen Aromen amerikanischer Hopfensorten wie Simcoe, Cascade oder Citra. Weizen, Hafer und Milchzucker sorgen dafür, dass der Körper nicht all zu dünn wird – was

allerdings nur teilweise gelingt.  Das Punk AF ist weniger ein Ersatz für die normale «Stange» als eine herbe Erfrischung für unterhopfte Zeitgenossen.

Punk AF Brewdog Brewery, Ellon, Aberdeenshire, Schottland. Alkoholfreies India Pale Ale, 0,5% vol. Alk., 3 dl für ca. 3.50 Franken.