Bier läuft nicht ab, aber…

Kolumne «Apero» aus der Handelszeitung vom 6.5.21

Die Flaschen setzten ordentlich Staub an. Als wir in unserer WG einst ein Weinregal aufstellten, legten wir zum Spass auch zwei grosse Flaschen Amberbier der Basler Brauerei Unser Bier hinein. Die WG gibts nicht mehr, aber die Flaschen waren immer noch da. Bis vor kurzem. «Ich schreibe eine Kolumne über altes Bier, da müssen wir eine davon verkosten», schlug ich meinen Freunden vor. Am Ende probierte auch der Chef von Unser Bier mit. Bei einem Bier, das seit 14 Jahren abgelaufen war.

Für viele ist das Mindesthaltbarkeitsdatum Gesetz. «Kann man abgelaufenes Bier noch trinken?», werde ich oft gefragt. Kurze Antwort: Ja, man kann. Und bis zu einem gewissen Grad sollte man es auch – Stichwort: Food Waste. Lebensmitteltechnisch macht ein Haltbarkeitsdatum auf Bierflaschen etwa gleich viel Sinn wie bei Wein. Bier altert zwar, vor allem wenn es nicht pasteurisiert wurde. Aber in der Regel verdirbt es nicht. Eher hat ein Wein «Zapfen», als dass ein Bier wirklich ungeniessbar wird.

Einige Biere werden sogar für den Lagerkeller gebraut. Eines der berühmtesten Beispiele ist das mittlerweile österreichische «Samichlaus» mit seinen 14 Prozent Alkohol. Auch das «Vintage Ale» von Fullers eignet sich bestens für geduldige Geniesser. Unsere Flasche von 2012 entwickelte wunderbare Honigaromen. Bei belgischen Geuze ist Alter sogar Pflicht: Sie bestehen immer aus einem Verschnitt von alten und jungen Lambic-Bieren. So treffen spritzige Aromen und Säure auf weiche Holz- und Oxidationsnoten.

Es gibt eine Faustregel: Je stärker und malziger ein Bier, desto besser hält es sich. Säuren bauen sich tendenziell etwas ab. Leichte oder hopfenbetonte Biere wie Pilsner, Pale Ale oder IPA dagegen sollte man frisch trinken, da die Hopfenaromen schnell verloren gehen – übrigens auch schon lange vor Ablauf des aufgedruckten Datums. Ein helles «Feldschlösschen» verdirbt zwar nicht, wenn es mal im Keller vergessen geht. Aber es wird garantiert auch nicht besser.

Das Amberbier aus dem Weinregal war denn auch mässig berauschend, überraschte aber positiv. Sauerstoff hatte dem Bier über die Jahre intensive Sherry-Noten verliehen. Unangenehme Fehler hatte es keine, was bei einem nicht pasteurisierten Bier mit 5 Prozent Alkohol fürs Handwerk der Brauer spricht. Die Kohlensäure hingegen war komplett entwichen. Auch das eine wichtige Lehre: Bügelflaschen sind zwar hübsch, eignen sich aber nicht für den Keller.

Typisch

Der Name lässt keine Zweifel zu. Das mit einem Jahrgang versehene «Vintage Ale» der Londoner Brauerei Fuller’s darf man gerne ein paar Jahre im Keller vergessen. Alte Flaschen werden mittlerweile als Sammlerstücke für dreistellige Beträge gehandelt. Unser Testobjekt von 2012 entwickelte über die Jahre intensive Honignoten und Dörrobstaromen. Einige Tester fühlten sich spontan an die Basler Herbstmesse erinnert. Das Bier hat eine gute Balance aus prägnanter Süsse und einem immer noch leicht herben Abgang. Wunderbar!

Vintage Ale Fuller’s Griffin Brewery, London. Obergäriges Starkbier mit 8,5% Alkohol. Jährlich wechselnde Rezepte. 5 dl für circa 10 Franken.