Kolumne “Apero” aus der Handelszeitung vom 14.7.21
Die Franzosen haben den Rohmilchkäse, die Schweizer das Bankgeheimnis und die Deutschen das Heiligtum Reinheitsgebot. Wahlweise deutsch oder bayrisch. Kaum ein Gespräch über Bier landet früher oder später nicht dort. Als ältestes Lebensmittelgesetz wird es gerne bezeichnet. Oder einfach als älteste Marketinglüge der Welt. Und nötig ist es schon gar nicht.
Das mit der Lüge ist schnell erklärt. Einerseits könnte gemäss Reinheitsgebot gar kein Bier gebraut werden, denn es lässt die Hefe aussen vor, die man 1516, als das «Bayrische» aufgeschrieben wurde, noch gar nicht kannte. Lediglich von Gerste, Hopfen und Wasser ist da die Rede. Und damit sind wir bei der zweiten Lüge, denn auch das urbayrische Weizenbier wäre nach dieser Regel verboten. Das in Deutschland wirklich verbindliche Lebensmittelgesetzt lässt denn auch deutlich mehr zu als das hochgelobte Reinheitsgebot. Wirklich streng geregelt sind eigentlich nur die untergärigen Biere: also Lager und Pils.
Eine Lüge ist es auch, weil rund um das Gebot herum ordentlich getrickst werden kann. So können dem Bier etwa Hilfsstoffe zugefügt werden, wenn sie am Ende wieder entfernt werden. Etwa um das Bier zu klären. Und überhaupt: Die Deutschen sind Meister bei fixfertigen Mischgetränken wie Radler (Panaché) oder Diesel (mit Cola). Aber beim Brauen Fruchtsaft zuzufügen, ist verboten. Das grenzt an Sarkasmus.
In der Schweiz gilt das Reinheitsgebot sowieso nicht. Das Lebensmittelgesetz schreibt bloss vor, dass Bier ein Getränk ist, das mithilfe von Getreide, Hefe und Hopfen hergestellt wird. In der Verordnung heisst es explizit: «Es können auch weitere Zutaten verwendet werden.» Dem Brauer steht es frei, Rüben, Reis oder Kartoffeln zu verbrauen. Oder Fruchtsäfte zuzusetzen. Kaum eine Brauerei hat nicht schon mit solchen Zutaten gespielt.
Das führt mitunter zu lustigen Situationen. Vor Jahren liess die Basler Brauerei Fischerstube anlässlich einer Ausstellung zu Tutanchamun bei ihrer Lörracher Partnerbrauerei ein Flaschenbier nach angeblich ägyptischem Rezept mit Emmer und Datteln brauen. Das taten die Deutschen dann auch. Selber verkaufen hätten sie das Bier jedoch nicht dürfen, weil es in Deutschland nicht als Bier galt. Das zeigt: Die Verletzung des Reinheitsgebots muss nicht unbedingt zulasten der Konsumenten und Konsumentinnen gehen. Denn das Reinheitsgebot ist vor allem auch eines: eine Spassbremse.
Typisch
Bei diesem Bier stehen weder Hopfen noch Malz im Vordergrund, sondern Aprikosen. Schon in der Nase begrüsst uns die Frucht – und der Abgang endet irgendwo zwischen Aprikosenwähe und Konfitüre. Ob das Bier per se gegen das Reinheitsgebot verstossen würde, ist nicht klar, denn gemäss den Angaben der Brauerei kommen die Früchte erst nach der Gärung in den Tank – wie bei einem Mixgetränk. Sicher nicht konform ist der Zucker, mit dem das Ale gepusht wird. Rein sind die Biere vom Samuel Smith’s auf ihre eigene Weise: Die Brauerei setzt voll auf Bio.
Organic Apricot Samuel Smith’s, Tadcaster, UK. Fruchtbier mit 5,1% vol. Alk., ca. 4 Franken pro 3,5 dl.