Zurück zur Mehrwegflasche? Es gibt gute Gründe für die Bierdose

handelszeitung.ch– 25. Mai 2022

Bierflaschen sind derzeit knapp. Brauer und Nationalrat Alois Gmür fordert darum die Rückkehr zum Mehrweg. Doch so einfach ist die Rechnung nicht.

Michael Heim

In der Getränkeindustrie gibt es derzeit fast nur ein Thema: Die Flaschen gehen aus. Vor allem Brauereien, die auf Glasflaschen angewiesen sind, sind am Klagen, seit die grösste Flaschenproduzentin Vetropack ihre Produktionsstätte in der Ukraine schliessen musste. Die meisten von ihnen sind Kunden von Vetropack. Die Knappheit sorgt nicht nur für Unsicherheit, sie lässt auch die Preise steigen. 

Alois Gmür hat nun die Gunst der Stunde genutzt. Der Mitte-Nationalrat aus Einsiedeln und Chef der Brauerei Rosengarten («Einsiedler Bier») hat sich unter anderem in der «Sonntagszeitung» – einmal mehr – darüber beklagt, dass die Detailhändler kaum noch Mehrwegflaschen im Sortiment haben. «Das ist eine unglaubliche Verschwendung und verschärft das Problem.»

Der Handel wehre sich «mit Händen und Füssen» gegen eine Wiedereinführung der Mehrweg- und somit auch Pfandflaschen, erklärt Gmür gegenüber der «Handelszeitung». Gleichzeitig gebe es auch Brauereien, die lieber Einwegflaschen hätten. «Ganz nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.» Hätte die Schweiz mehr Mehrweg, wäre das aktuelle Problem kleiner, so seine Argumentation. 

Mehrwegflaschen sind aus dem Detailhandel verschwunden

Noch bis vor zehn Jahren waren Mehrwegflaschen für Getränke deutlich verbreiteter, auch im Detailhandel wurde Bier oft in Harassen verkauft. Heute sind diese mehr oder weniger aus den Regalen verschwunden. Ersetzt wurden sie durch Kartons mit Bier in Einwegflaschen – und vor allem durch Dosen. 

Mehrweg ist die Ausnahme geworden. Coop habe noch Bier von Feldschlösschen und Appenzeller Bier in Mehrwegflaschen, sagt eine Sprecherin des Detailhändlers. Und Feldschlösschen verweist ebenfalls auf Mehrwegflaschen bei Coop und Landi. 

Dosenbier-Anteil stieg in der Pandemie auf 40 Prozent

Vor allem die Corona-Pandemie hat Mehrweg einen Schlag versetzt. Weil mehr Bier zu Hause getrunken wurde, stiegt der Anteil des Dosenbiers auf mehr als 40 Prozent des Gesamtabsatzes. Und knapp 30 Prozent wurde vergangenes Jahr in Einwegflaschen verkauft. Fassbier und Mehrwegflaschen – beides geht hauptsächlich in die Gastronomie – verzeichneten dagegen ein Rekordtief. 

Das sei auch ein ökologischer Blödsinn, sagt Brauer Gmür. «Mehrwegflaschen schneiden am besten ab, wenn es um die Ökobilanz geht», sagt er. Alle sprächen immer von Kreislaufwirtschaft. «Aber Kreislauf bedeutet wiederverwenden, nicht wiederverwerten», so Gmür mit Verweis auf Flaschen und Dosen, die nach dem Gebrauch eingeschmolzen werden.

Doch gerade mit Blick auf das einst verpönte Dosenbier ist die Ökobilanz nicht so klar. Gemäss der immer mal wieder zitierten Carbotech-Studie von 2014, die vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) in Auftrag gegeben wurde, sind Getränkedosen fast gleichauf mit den Mehrwegflaschen. Und das, obwohl sie nach jedem Gebrauch jedes Mal eingeschmolzen werden. 

Dafür gibt es zwei Gründe. Dosen sind sehr leicht und brauchen wenig Platz im Transport. In einem 32-Tonnen-Camion haben 23’000 Liter Ware Platz, rechnet die Grossbrauerei Feldschlösschen vor. Dosenbier nutze dieses Volumen maximal aus. Werde das Bier jedoch in Drei-Dezi-Flaschen ausgefahren, brauche es dafür mehr als doppelt so viele Fahrten. 

Noch grösser ist der Unterschied beim Rücktransport: Die leeren Mehrwegflaschen brauchen gleich viel Platz wie die vollen. Plattgedrückte Dosen hingegen sind leicht und platzsparend. Der Rücktransport im Alurecycling braucht kaum Transportenergie. 

Aludosen haben eine bessere Ökobilanz als Einweg-Bierflaschen

Verglichen mit Einweg-Glasflaschen haben Aludosen zudem eine viel bessere Ökobilanz, weil die Herstellung weniger hohe Schmelztemperaturen voraussetzt, wie die Carbotech-Studie festhält. Zudem kann Strom als Energiequelle verwendet werden, während Glas in der Regel mithilfe fossiler Brennstoffe geschmolzen wird.

Das Mehrweg-System funktioniert heute vor allem dort noch gut, wo Kunden fest an einen Lieferanten gebunden sind. Zum Beispiel in der Gastronomie oder bei Getränkelieferanten, die auch bei privaten Kunden die leeren Flaschen wieder abholen. In diesem Geschäft ist auch Gmürs Brauerei stark, und so kommt das Einsiedler Bier denn auch auf etwa 90 Prozent Mehrweg-Anteil, wie Gmür erklärt. Doch damit steht das Einsiedler Bier zunehmend alleine da. 

Erschwerend kommt hinzu, dass nach dem Fall des Bierkartells viele Brauereien von standardisierten Flaschen abgekommen sind. Im Mehrweg-System bedeutet das, dass Brauereien nicht nur Flaschen zurücknehmen, sondern diese auch noch sortieren und an andere Brauereien weiterleiten müssen. Das verursacht nicht nur Kosten, sondern mindert auch die Ökobilanz. 

Brauerei von Alois Gmür könnte selbst von einem Mehrweg-Trend profitieren

Nicht wenige werfen Gmür vor, mit seiner Mehrweg-Politik nicht nur an die Umwelt, sondern auch an seine eigene Brauerei zu denken. Würde das Flaschenpfand wieder eingeführt, so sein Bestreben, würden regionale Produzenten profitieren, die schon heute stark auf Mehrweg setzen. 

Gmür gibt zu, dass der Markttrend – hin zu mehr Dosenbier – gegen Regionalbrauereien wie seine gespielt habe. Die meisten von ihnen haben keine Dosen-Abfüllanlage und müssen das Bier erst – quer durch die halbe Schweiz – in eine andere Brauerei transportieren, wenn sie Dosenbier herstellen wollen. Das ist auch in Einsiedeln so. Am Dosenbier kommt auch Gmür nicht vorbei. Seit zwei Jahren ist auch das Einsiedler in der Büchse erhältlich. 

Konsumenten schätzen Dosenbier und Einwegflaschen

Die Konsumenten lassen sich kaum noch von Dosen und Einwegflaschen abbringen, wie Handel und Brauereien betonen. «Die Konsumentengewohnheiten beim Einkaufen im Detailhandel sind nicht auf Mehrwegflaschen fokussiert», konstatiert Feldschlösschen-Sprecherin Gaby Gerber. Selber komme die Grossbrauerei auf einen Mehrweganteil von rund einem Drittel.

Was sind die Alternativen? Im Raum Basel testet Coop derzeit Abfüllstationen, an denen sich die Kunden Bier aus dem Hause Feldschlösschen in Karaffen abfüllen können. Dem Vernehmen nach bisher noch mit eher mässigem Erfolg.

Ökologisch am besten wäre wohl ein ganz anderes Recycling-Produkt. Gemäss Bafu-Studie die beste Bilanz hat nämlich die Halbliter-PET-Flasche. Doch wenn es ein Produkt gab, das die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten bisher gar nicht akzeptierten, ist es Bier aus Plastikflaschen.