Interview: So will Dr. Gab’s unter die Top 10 kommen


Handelszeitung vom 9.1.2023

Bierbrauer Reto Engler sagt, wie seine Marke unter die Top Ten kommen soll – und warum Craftbeer nichts mit Handarbeit zu tun hat.

Eine unscheinbare Industriehalle am Rand des Waadtländer Dorfs Puidoux. Wo normalerweise Wein angebaut wird – das berühmte Lavaux ist gleich um die Ecke –, steht eine der grössten Brauereien der Romandie, und die schielt zunehmend auch auf die Deutschschweiz: Docteur Gab’s. Noch steht sie irgendwo zwischen Rang 10 und 15 der Schweizer Brauereien. Doch das Ziel ist klar definiert: die Top Ten. 

Hinter dem Gebäude glänzen neue Lagertanks, nun soll das Volumen der Brauerei verdoppelt werden. Mitgründer Reto Engler erklärt im Interview, wie das funktionieren soll. Und warum sich die Craft-Brauerei von ihren traditionsreichen Konkurrenten im Bierbrauer-Verband unterscheidet.

Ein paar hundert Meter von hier beginnen die berühmtesten Rebberge der Schweiz. Ist Ihre Standortwahl eine Kampfansage?

Reto Engler: Das könnte man so lesen, ist aber nicht so gemeint. Wir sind jetzt seit vier Jahren hier in Puidoux. Für mich gilt nicht Wein oder Bier, beides geht sehr gut zusammen. Wir lieben Wein.

Ist der Standort ein Zufall?

Ja, schon. Wir drei Gründer kommen aus der Gegend von Lausanne, und da war auch unsere erste Brauerei. Das hier ist unser vierter Standort. Und wie es der Zufall will, war in dem Gebäude vorher eine Weinproduktion. 

Für viele Deutschschweizer steht die Romandie für Wein und das Waadtland sowieso.

Das stimmt schon. Wenn ich an Deutschschweiz denke, sehe ich auch eher das Bier vor mir als den Wein. Bier hier im Lavaux zu brauen, tönt vielleicht komisch, aber für uns war das ein Vorteil. 

Wieso hilft die Weinkultur?

Beim Bier bestellen viele Leute einfach «ein Helles». Die Weinkultur jedoch lehrt sie zu unterscheiden. Man kennt Traubensorten, Winzer, Herstellungsprozesse. Das hilft uns, weil wir auch beim Bier stark auf Spezialitäten setzen. Die Leute hier in der Romandie waren offen für Craftbeer in all seinen Ausprägungen. Dass die Bierkultur weniger dominant war, hat uns geholfen. 

Ein weiterer Unterschied: Es gibt in der Romandie keine Grossbrauereien. Die letzte war Cardinal in Freiburg. 2011 wurde die Feldschlösschen-Tochter nach langem Hin und Her geschlossen. 

Ja, es blieben Boxer und Valaisanne als die grössten Brauereien. Beide gehören zu Deutschschweizer Unternehmen. Boxer zu Doppelleu und Valaisanne zu Feldschlösschen. 

Hat Ihnen der Verkauf von Boxer am Markt Sympathiepunkte beschert? 

In erster Linie hat es Boxer geholfen, denn sie liefern seither deutlich mehr Bier in die Deutschschweiz als zuvor. Aber natürlich können wir jetzt anderes auftreten. Docteur Gab’s ist heute die grösste unabhängige Brauerei der Romandie.

Zur Person: Reto Engler

Name: Reto Engler
Funktion: Mitgründer, Aktionär, Supply Chain Manager
Alter: 38
Familie: verheiratet, 3 Kinder

Ausbildung: Studium der Umweltwissenschaften, EPFL

Laufbahn:
2020 bis heute: Supply Chain Manager, Docteur Gab’s
2010 bis 2019: Production Manager, Docteur Gab’s
2001 bis 2009: Brauer, Docteur Gab’s

In der Branche gibt es einen deutlichen Röstigraben.

Ja, in der Romandie gibt es kaum traditionelle Regionalbrauereien. In der Deutschschweiz sind diese immer noch sehr weit verbreitet. Die meisten Brauereien hier sind jung und viele auch sehr klein. Unsere grössten Konkurrenten sind BFM, La Nébuleuse und vielleicht noch White Frontier.

Auf welchem Rang steht Docteur Gab’s schweizweit?

Wir befinden uns wohl zwischen Rang 10 und 15 aller Brauereien. Der Markt ist sehr speziell. Es gibt ein paar wenige Brauereien, die fast alles Bier brauen, und ganz viele, die sich den Rest teilen. 

Sie stehen irgendwo dazwischen. Welchen Marktanteil haben Sie?

Derzeit produzieren wir etwa 2,2 Millionen Liter pro Jahr und kommen damit auf etwa ein halbes Prozent Marktanteil. Das Ziel ist, das in den nächsten vier Jahren zu verdoppeln.

… und damit unter die Top Ten der Schweiz vorzustossen?

Es kommt natürlich drauf an, was unsere Konkurrenten machen. Wir wachsen derzeit stark. Anfang 2022 kamen wir hier an die Kapazitätsgrenzen. Mit den drei neuen Lagertanks, die wir jetzt aufgestellt haben, können wir wieder expandieren.

Stichwort Craftbeer: Welche Bedeutung hat dieses Label für Sie?

Ich benütze das Wort, weil es auf Französisch keine gute Alternative dazu gibt. Bière artisanale ist nur die halbe Wahrheit, denn wirklich von Hand wird kein Bier gemacht. 

Im Brauprozess von Dr. Gab’s steckt gleich viel Handarbeit wie bei Heineken?

Mehr oder weniger, nur die Anlagen sind kleiner. Und eine Brauerei mit einem Ausstoss von 200 Litern pro Sud braut wiederum ähnlich wie wir mit 5000 Litern. Craftbeer heisst für mich, dass die Brauerei unabhängig sein muss und die Biersorten authentisch sind. Auch Vielfalt gehört dazu. Eine Craft-Brauerei kann nicht zu 95 Prozent Lagerbier brauen. Ich liebe Lagerbier, aber das ist keine Vielfalt. 

Die Firma: Brasserie Docteur Gab’s SA

Die Geschichte: Docteur Gab’s beginnt im Jahr 2000 mit einem Brau-Set für Amateure, das der damals 16-jährige Gabriel Hasler geschenkt bekommt. Zusammen mit seinen Freunden David Paraskevopoulos und Reto Engler (im Bild von links nach rechts) braut er ein erstes Bier, das nach ihm benannt wird: Docteur Gab’s. Die drei beginnen, regelmässig in ihrer Freizeit zu brauen. 2004 wird die Brauerei erstmals ausgebaut. In Epalinges wird auf einer 400-Liter-Anlage gebraut, erste Geschäftskunden zählen zu den Abnehmern. 2010, nach abgeschlossenem Studium, arbeiten die drei Vollzeit für die Brauerei. Von da an gehts mengenmässig steil aufwärts. 2012 folgt der nächste Umzug nach La Claie-aux-Moines, 2018 dann an den heutigen Standort in Puidoux. 

Die Brauerei: Derzeit produziert Docteur Gab’s rund 2,4 Millionen Liter Bier pro Jahr und liegt damit, nach eigenen Angaben auf Rang 10 bis 15 der Schweizer Brauereien. Das Sudhaus hat einen Ausstoss von 5000 Litern pro Sud und erlaubt – theoretisch – einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb. Docteur Gab’s produziert ausschliesslich obergärige Biere. Dank dem vor kurzem abgeschlossenen Ausbau der Lagerkapazitäten liegt am aktuellen Standort ein Ausbau bis auf das Doppelte der heutigen Produktionsmenge drin. 

Muss man nicht auch Kompromisse eingehen, wenn man grösser wird?

Nein, im Gegenteil. Wir sind bislang viermal umgezogen und haben jedes Mal eine neue Brauerei gebaut. Aber es ging nicht nur darum, mehr zu brauen, sondern auch darum, besseres Bier zu brauen. Wenn Sie zu Hause in der Garage Bier brauen, ist das lustig. Aber es ist auch schwierig, konstant auf einem guten Niveau zu produzieren. Wir haben noch immer auch eine kleine 500-Liter-Anlage, um genau die Biere zu machen, die sich auf der grossen Anlage nicht lohnen würden.

Funktionieren diese Biere auch kommerziell oder sind sie bloss «pour la galerie»? Ich denke da zum Beispiel an die holzfassgelagerten Sauerbiere. 

Man kann das schon verkaufen, aber Geld verdienen wir in der Tat nicht viel damit. Wir machen das auch fürs Image und weil es Spass macht, solche Biere zu entwickeln.

Docteur Gab’s steht für den Wandel in der Branche. Sie waren das erste Mitglied im Branchenverband, das aus einem Hobbybetrieb entstanden ist. Sie haben einst auch in der Küche gebraut.

Ja, das stimmt. Wir waren die ersten Jahre Hobbybrauer, und das spiegelt sich bis heute in der Philosophie von Docteur Gab’s wider. Wir brauten damals, um Spass zu haben, und dachten noch nicht an einen Profibetrieb. Aber Schritt für Schritt kamen wir voran; und heute brauen wir ziemlich viel Bier. 

Gab es einen Schlüsselmoment?

Wir brauten auch schon als Amateure viel Bier und verkauften dieses an Kunden. Aber nach dem Studium 2009 mussten wir uns entscheiden: Alles oder nichts? Wir nahmen uns vor, es ein Jahr lang in Vollzeit mit der Brauerei zu versuchen und am Ende des Jahres zu schauen, ob das funktioniert. Und es funktionierte. Dann machten wir uns auf die Suche nach Geld, Mitarbeitenden und einem neuen Equipment für den ersten grossen Ausbau. 

Wann wurden Sie ernst genommen?

Das war 2012, als wir die erste professionelle Brauerei hatten. Ich erinnere mich an unseren ersten Auftritt an der Fête de la Bière in Lausanne im Jahr 2004. Damals verstanden die älteren Brauer gar nicht so recht, was wir wollten. Niemand nahm uns ernst. Zehn Jahre später waren wir dann die grossen an diesem Fest.

Und dann kam die Restrukturierung. Sie warfen Ihre Freunde aus dem Aktionariat.

Ja, wir kauften Aktien zurück. Die erste professionelle Brauerei hatten wir nach dem Motto «Friends, Fools and Family» finanziert. Dann kam der nächste Ausbauschritt. Es lief gut, wir verdienten Geld – und da half uns die UBS über ein Darlehen, diese Aktien zurückzukaufen und so die Struktur zu vereinfachen.

Andere Kleinbrauereien machen das Gegenteil und nehmen billig Geld bei ihren Fans auf. 

Natürlich ist das auch ein Modell. Brewdog in Schottland macht das erfolgreich vor, auch in der Schweiz gibt es solche Beispiele. Das wäre ein Weg gewesen, aber wir sind einen anderen gegangen. 

In der Romandie sind Sie etabliert, kommt jetzt der Angriff in der Deutschschweiz?

Wir fühlen uns als Schweizer Brauerei und da ist klar, dass wir auch in der Deutschschweiz wachsen wollen. Wir haben bereits einen Verkäufer für die Deutschschweiz, aber wir müssen noch deutlich bekannter werden.

Das wird nicht so einfach wie im Weinland Westschweiz. Müssen Sie sich inhaltlich anpassen? Lagerbier statt Saison Barrique?

Ich denke nicht. Wir haben auch klassische Biere im Angebot, wie sie in der Deutschschweiz getrunken werden. Aber punkten wollen wir mit dem, was es noch nicht gibt. Wir treten eher mit einem belgisch inspirierten Wit an als mit einem weiteren Weizenbier. Oder mit einem schön starken Tripel. Erstaunlicherweise gibt es das noch praktisch gar nicht auf dem Schweizer Markt. 

Müssten Sie sich nicht einen Partner suchen? Die Kombination der welschen Boxer mit der Winterthurer Doppelleu im Jahr 2017 hat sich als ziemlich schlaue Aktion herausgestellt. 

Das war clever von den beiden, denn jeder hatte zuvor Mühe, alleine den Röstigraben zu überwinden. So eine Kooperation könnte durchaus eine Möglichkeit sein, wir haben derzeit aber kein entsprechendes Projekt. Eine Zusammenarbeit haben wir bereits: Seit ein paar Jahren brauen wir mit Dr. Brauwolf in Zürich ein gemeinsames Bier namens Röstigraben.

Welche Trends prägen derzeit den Markt?

Die amerikanisch geprägten IPA und New England IPA sind für uns sehr wichtig, aber da ist der Hype etwas vorbei. Im Moment sehe ich vor allem die säuerlichen Bierstile kommen. In der Romandie ist das bereits etwas grösser. Da sehe ich Potenzial, das auch in die Deutschschweiz zu tragen. 

Eine Nische mit wenig Konkurrenten?

Ja. Wir haben mit dem Saison Barrique, einem in Holzfässern gelagerten Bier, ja bereits ein leicht säuerliches Bier. Vielleicht liegt da auch noch was anderes drin. Sauer ist für mich der neue Trend.

Und alkoholfrei? Da ist der Markt im letzten Jahr um 20 Prozent gewachsen.

Wir haben seit eineinhalb Jahren ein alkoholfreies Bier im Sortiment, und das verkauft sich gut. Wir sind damit auch regional bei der Migros im Sortiment. 

Haben Sie beim alkoholfreien Migros-Bier mit «Non» mitgeboten?

Nein, die Einladung dazu kam leider nicht. 

«Es war interessant, das zu entwickeln. Aber ich denke, dass Hard Selzer bei uns nicht überleben wird.» 

RETO ENGLER

Dann gab es noch so einen lustigen Trend in den letzten Jahren: Hard Seltzer, aromatisiertes Wasser mit Alkohol.

Da sind wir auch letztes Jahr eingestiegen. In den USA ist Hardt Seltzer ein grosser Trend, in der Schweiz ist das bisher aber nicht wirklich angekommen. Es war interessant, das zu entwickeln. Aber ich denke, dass Hard Selzer bei uns nicht überleben wird. 

Sie sind auch in die Produktion von Apfelwein eingestiegen und haben vor kurzem die Marke «Crafty» ganz übernommen.

Es gibt grosse Synergien zwischen Bier und Cidre: Die Vergärung, der Abfüllprozess in Flaschen und Fässern. Für uns ist das ein gutes Produkt, mit dem wir auch ein zusätzliches Publikum ansprechen können, das keine bitteren Getränke mag, oder auf Gluten verzichten muss. 

Wird das auf der gleichen Anlage produziert?

Im Moment geschieht das noch woanders. Wir wollen nun erstmal die Abfüllung zu uns holen, in einem zweiten Schritt dann auch die Gärung in unseren Tanks machen und am Ende eine eigene Mosterei einrichten. Heute kaufen wir den Apfelsaft noch ein. 

Und wann wird die Geschichte abgerundet? Ihnen fehlt nur noch der Wein. 

Stimmt, das wäre noch was! Im Ernst: Wein ist dann doch eine andere Geschichte. Das überlassen wir jenen, die das besser können.

Das würde von den Nachbarn im Lavaux wohl auch nicht so gut aufgenommen. 

Vielleicht. Wir arbeiten lieber direkt mit den Winzern zusammen. Wir vertreiben zum Beispiel Wein in Fässern für die Gastronomie, der auf den gleichen Anlagen gezapft werden kann wie unser Bier. Das läuft seit einem Jahr. 

Gastro oder Detailhandel – welcher Vertriebskanal ist wichtiger für Sie?

Keiner von beidem, und das ist auch eine Stärke von uns. Wir sind nicht von einem der Kanäle abhängig, was uns während Corona stark geholfen hat, als die Gastronomie geschlossen war.

Wie stark ist Ihr Umsatz durch Covid-19 eingebrochen?

Gar nicht, während Covid konnten wir sogar zulegen. Wir waren damals in einer starken Wachstumsphase, besonders auch im Detailhandel bei Coop. Wir produzierten schon etwas weniger als geplant, aber immer noch mehr als im Jahr zuvor. 

Und dann kam der Krieg in der Ukraine, und in der Schweiz gingen die Bierflaschen aus.

Wir hatten das grössere Problem mit den Dosen, noch im Jahr davor. Auch die wurden plötzlich knapp. Bei den Bierflaschen waren wir nur bei unserem «Swaf» betroffen, das in Einwegflaschen abgefüllt wird. Da mussten wir auf eine andere Flasche umsteigen. Bei den übrigen Produkten verwenden wir unsere eigenen Mehrwegflaschen, und die werden in der Schweiz hergestellt.

Dann stiegen auch noch die Energiepreise an. Was heisst das für Sie?

Viel, wir heizen hauptsächlich mit Gas, aber unsere Anlagen brauchen natürlich auch viel Strom. Wir haben nun beschlossen, unsere Photovoltaik-Anlage auf dem Dach auszubauen, um mehr Strom selbst herstellen zu können. Gleichzeitig schauen wir auch, wie wir noch Strom sparen können. 

Haben diese Krisen den Boom gestoppt? Die Zahl der Brauereien war in den letzten Jahren regelrecht explodiert. 

Ich glaube, der Boom hätte sich auch ohne Covid-19 abgeflacht, aber die Pandemie hat das noch verstärkt. Als die Brasserie Trois Dames 2020 aufgab, war das schon eine grosse Nachricht. Die waren in der Romandie sehr bekannt. 

Haben Sie da auch den eigenen Optimismus hinterfragt?

Nein, nicht wirklich. Aber es hat uns gezeigt, wie wichtig die Grösse einer Brauerei ist. Die kleinen Hobby- und Gasthaus-Brauereien wird es wohl immer geben, denn da findet man schnell mal eine regionale Nische. Schwierig ist die mittlere Grösse, in der auch wir uns noch immer befinden.

Nicht mehr Hobbybrauer, noch nicht Feldschlösschen. Aber man kämpft um die gleichen Kunden wie die Grossen.

Das ist so. Am Markt ist Feldschlösschen unser Konkurrent. Aber wir stehen auch in Konkurrenz zu den Kleinen. Genau deshalb wollen wir auch weiter expandieren und wachsen. Darauf ist die Anlage ausgerichtet, die wir hier gebaut haben. Das Wachstum darf nicht ins Stocken geraten. Wir müssen noch ein paar Schritte weitergehen.