Terroir oder Terreur?

APÉRO

Handelszeitung– 14. Juli 2022

Michael Heim

Weinliebhaber philosophieren gerne über das «Terroir». Wie alt ist der Rebberg, wie gut die Sonneneinstrahlung? Wie trocken der Boden? All das beeinflusst wie auf magische Weise die Qualität eines Weines. Und beim Bier? Einst war die Frage leicht zu beantworten: Das Wasser machts. So bohrte die Brauerei Feldschlösschen noch in den 1980er Jahren eine neue Quelle an, um an mehr und besseres Brauwasser zu kommen. Bekannt ist, dass nicht zuletzt das weiche tschechische Wasser dem Pilsner zum weltweiten Erfolg verhalf. Und den Bieren aus dem britischen Burton gab das besonders harte Wasser den entscheidenden Kick. Heute gilt das nur noch bedingt. Wer will, kann das Wasser nach Wunsch aufbereiten. Profis überlassen hier wenig dem Zufall.

Wenig Terroir bringt auch das Getreide ins Bier. Zwar unterscheidet sich europäische Gerste durchaus von solcher etwa aus den USA. Auch gibt es Schwankungen von Jahr zu Jahr. Diese beschäftigen aber vor allem die Brauerinnen und Brauer, die ihre Rezepte darauf abstimmen müssen. Im Bier schmeckt man davon nichts mehr. Grossen Einfluss hat dagegen der Hopfen. Die gleiche Sorte kann je nach Anbaugebiet unterschiedliche Charakteristiken entwickeln. Gleichzeitig gilt aber auch: Hopfen wird global gehandelt. Wenn ein Brauer nicht gerade mit erntefrischem Hopfen arbeitet, ist er nicht an regionale Produkte gebunden. Weltweit gebraute Biere zeigen denn auch, dass es nicht aufs Terroir ankommt. Im Gegenteil: Ein Heineken aus Chur soll gleich schmecken wie eines aus Amsterdam. Terroir unerwünscht.

Am ehesten wird so etwas wie Terroir in Belgien gepflegt – das Terroir des eigenen Gebälks. Lambic-Brauereien setzen auf wilde Gärung. Sie verwenden keine Zuchthefe, sondern warten, bis sich Hefen, die in den Räumen der Brauereien leben, von sich aus auf die unvergorene Würze in den offenen Tanks niederlassen. Das geht länger und unkontrollierter und bringt die verrücktesten Aromen ins Bier. So verrückt, dass manch einer nicht mehr von Terroir, sondern eher von Terreur sprechen würde.

Typisch: Geuze

Die Brauerei hat eine bewegte Geschichte hinter sich, doch das Produkt ist traditionell: Geuze ist eine Mischung aus verschiedenen alten Lambic-Bieren, denen gemein ist, dass sie ohne Zuchthefe vergoren werden. Für den Alkohol sorgen natürlich vorhandene Hefestämme, gleichzeitig bringen Bakterien saure Noten ins Bier. Schön kühl genossen ein spannendes Sommerbier.

Oude Geuze Brouwerij Boon, Lembeek, Belgien. Spontanvergorenes Bier, 37,5 cl für ca. 5 Franken.

In dieser Kolumne schreiben der «Handelszeitung»-Redaktor Michael Heim und Autor Ben Müller alternierend einmal im Monat über Bier und Wein. Heim selbst ist an einer Vereinsbrauerei beteiligt.