handelszeitung.ch 10.05.2023 06:07
Die Appenzeller Brauerei Locher reitet auf der Craftbeer-Welle mit. Und distanziert sich bewusst vom etablierten «Quöllfrisch»-Image.
MichaelHeim
Die wohl umtriebigste Schweizer Brauerei lanciert eine neue Biermarke: Mit «Locher Craft» zielt die Appenzeller Brauerei Locher auf ein neues Publikum, wie Geschäftsführer Aurèle Meyer gegenüber der «Handelszeitung» ankündigt. Gleichzeitig surft die mittlerweile grosse Regionalbrauerei mit der neuen Marke auf der Craft-Beer-Welle, die seit einigen Jahren den Markt überzieht.
Insgesamt umfasst die neue Linie sieben Biere. Speziell dabei sind vor allem zwei Dinge: Gebraut werden sie auf einer etwas kleineren Brauanlage, welche die Brauerei Locher im einstigen Stammhaus in Appenzell eingerichtet hat. Dort werde in kleineren Chargen gebraut, was «Raum für kreative Ideen» zulasse, wie Meyer erklärt.
Damit kopiert Appenzeller, was andere grosse Brauereien vormachen. So hat etwa Marktführerin Feldschlösschen die Walliser Regionalbrauerei Valaisanne erfolgreich auf den Craft-Trend umpositioniert. Statt wie früher nur auf Lagerbier setzt diese seit einigen Jahren auch auf amerikanisch geprägte Biersorten oder Experimente wie holzfassgereifte Starkbiere. Locher vermeidet Ähnlichkeiten zu seinen traditionellen Bieren
Anderseits fällt beim neuen Bier aus Appenzell auf, wie wenig Appenzell im Design steckt. Die Brauerei Locher verzichtet auf die sonst üblichen Sennenmalereien und den etablierten «Appenzeller»-Brand und stellt den Familiennamen der Eigentümer in den Vordergrund. Viele Kundinnen und Kunden dürften gar nicht erst bemerken, dass das Bier vom gleichen Hersteller kommt wie die bekannte «Quöllfrisch»-Dose vom Kiosk.
Dahinter steckt Absicht. Man habe die neue Marke bewusst anders positioniert, sagt Geschäftsführer Meyer. Mit englischen Bezeichnungen wie «Hazy Climber» und neuartigen Rezepten wie einem dunklen Sauerbier mit Kirsche zielt Locher eindeutig auf ein neues Publikum.
Dass kaum noch eine Brauerei darauf verzichtet, das sogenannte Craftbeer-Segment zu beackern, hat auch damit zu tun, dass dieses auch in der Schweiz zunehmend der Nische entwächst. Vergangenes Jahr wuchs der Umsatz mit Craftbeer um 15 Prozent. Ähnlich starke Wachstumsraten weist innerhalb des eher stagnierenden Biermarkts nur noch das Alkoholfrei-Segment auf. Der Craftbeer-Begriff ist umstritten
Darüber, wofür «Craftbeer» eigentlich stehen soll, sind sich indes längst nicht alle einig. Ursprünglich war damit Bier von kleineren, handwerklich orientierten Brauereien gemeint. Doch viele Anbieter haben diese Kategorie längst gesprengt. Hiesige Grossbrauereien wie Feldschlösschen aus dem Carlsberg-Konzern oder die Heineken-Tochter Calanda würden in Märkten wie den USA – gemessen an ihrer Grösse – noch immer als Craft-Brauereien durchgehen.
Mit Grösse allein habe Craft wenig zu tun, sagte Reto Engler von der Westschweizer Brauerei Docteur Gab’s unlängst in einem Interview mit der «Handelszeitung». Im Brauprozess einer Grossbrauerei stecke gleich viel Handwerk wie in jenem einer kleinen Regionalbrauerei, so Engler. «Und eine Brauerei mit einem Ausstoss von 200 Litern pro Sud braut wiederum ähnlich wie wir mit 5000 Litern.» Craftbeer heisse für ihn, dass die Brauerei unabhängig sein müsse und dass die Biersorten authentisch seien.
Gemessen am jährlichen Ausstoss gehört die Brauerei Locher in der Schweiz längst zu den ganz Grossen. Letzten Schätzungen von Marktbeobachtern und -beobachterinnen zufolge hält Locher einen Anteil von rund 15 Prozent des in der Schweiz gebrauten Biers. Grösser sind nur noch die internationalen Bierkonzerne Carlsberg und Heineken.