Hallo Pils, ciao Spezli? Vielleicht sollten wir das Undenkbare tun



APÉRO

Handelszeitung – 31.3.2023

Michael Heim

Unser «Spezial»-Bier darf neu auch «Pilsner» heissen. Wäre es an der Zeit, die Schweizer Bezeichnung ganz zu kippen?

Ausverkauf der Heimat! Niedergang der Traditionen! Gentrifizierung des Schweizer Biers! Ein Hauch von Dichtestress zieht durch die Bierszene. Oder Vorfreude darauf, endlich verstanden zu werden? Grund für die Aufregung: Bier darf neu auch hierzulande «Pilsner» heissen. Nicht nur, wenn es aus Tschechien kommt, sondern immer dann, wenn der Braumeister findet, dass es wie ein Pilsner schmeckt. Das war bisher nicht so.

Bis Ende 2022 galten «Pilsner», «Pils» oder «Pilsener» in der Schweiz nicht als Bierstil, sondern als Herkunftsangabe. Wegen eines Staatsvertrags mit Tschechien, der auf eine hundertjährige Vereinbarung zurückgeht. In der Folge wurde aus dem Pils hierzulande das «Spezial». Eine Hilfsbezeichnung, die es nun eigentlich nicht mehr bräuchte. Oder doch?

Schweizer haben die Tendenz, Eigenarten zu Besonderheiten zu verklären, und genau das passiert jetzt offenbar auch mit dem «Spezli». Bei diesem handle es sich nämlich um einen eigenen Bierstil, betont der Verband. Und ja, das helle Standardbier wird hierzulande etwas stärker und milder gebraut – weshalb gerade Deutsche ihre liebe Mühe damit haben. Doch das gilt überall. Ein Schwarzwälder «Tannenzäpfle» schmeckt anders als ein «Pilsner Urquell» aus Tschechien.

Wird die Schweiz nun «verpilsnert»? Bestimmt wird die eine oder andere Brauerei jetzt ein besonders hopfiges Bier als «Pilsner» lancieren. Womöglich auch, um damit gezielt deutsches Publikum zu adressieren. Vielleicht aber – man darf mich dafür gerne mit Unterstammheimer Hopfen bewerfen – wäre es schlicht sinnvoll, das «Spezial» zu begraben. Schon heute versteht kaum einer oder eine den Unterschied zwischen Spezial und dem etwas milderen Lager. Einen dritten, sehr ähnlichen Bierstil verträgt es nicht im Massenmarkt.

Dass deutsche Bezeichnungen in der Schweiz funktionieren können, hat einer vorgemacht: Seit zehn Jahren heissen die Panachés der Heineken-Brauereien hierzulande «Radler». Da wäre das «Calanda Pils» nur konsequent.

Typisch: Das Original

Es hat zwar einen deutschen Namen, ist aber astrein tschechisch – und durfte daher schon bisher unter dieser Bezeichnung in der Schweiz verkauft werden: Das «Pilsner Urquell» ist der Klassiker. Deutlich gehopft, schöner Körper, ein echtes Pilsner halt. Nicht nur vom Namen her. 

Pilsner Urquell. Plzeňský Prazdroj, Pilsen. Böhmisches Pilsner, 4,4% vol. Alk., 33 cl für ca. 3 Franken

In dieser Kolumne schreiben der «Handelszeitung»-Redaktor Michael Heim und Autor Ben Müller alternierend einmal im Monat über Bier und Wein. Heim selbst ist an einer Vereinsbrauerei beteiligt.